Kurzbeschreibung:
Herkömmliche Roboter, wie sie heutzutage vielfältig in Fertigungsstraßen eingesetzt werden, haben eine feste Basis und sind unter ihren Betriebsbedingungen voll aktuiert. Moderne, von Tieren inspirierte, Roboter (z.B. Hüpfer, Vierfüßler, Humanoide) sind jedoch nicht an einen Ort gebunden und stets unteraktuiert. Wie Tiere können diese Roboter dynamische Bewegungen ausführen, zeigen Nachgiebigkeit und ihre Bewegungen sind robust gegenüber Störeinflüssen. Roboter der Zukunft sind in der Lage sich dynamisch und sicher durch unstrukturiertes Gelände zu bewegen und werden sich einen Arbeitsraum mit Menschen teilen. Um diese Zukunft zu verwirklichen, identifiziert das Labor unteraktuierte kanonische Systeme und setzt diese als Versuchsaufbauten in die Realität um. Mithilfe dieser kanonischen Systeme erlangen Wissenschaftler*innen ein fundiertes Verständnis in der Regelung unteraktuierter Systeme, sodass die Komplexität der Systeme schrittweise erhöht und später offene Probleme in den Bereichen dynamische Lokomotion auf Beinen, geschickte Manipulation und des agilen Flugs gelöst werden können. Der Ansatz ist inspiriert von Optimalitätsprinzipien, sowie von Studien in der analytischen Mechanik, dem mechanischen Design und der Regelungstechnik von Robotersystemen. Dieses Labor wird nicht nur für die Erforschung und Entwicklung neuer physisch intelligenter Roboter von Nutzen sein, sondern auch für die Entwicklung von Lehrmitteln für Robotik- und Künstliche-Intelligenz (KI)-Vorlesungen.
Was sind unteraktuierte Systeme?
Der Begriff unteraktuiert bezieht sich auf Robotersysteme, die im Allgemeinen oder zu einem bestimmten Zeitpunkt nicht alle verfügbaren Freiheitsgrade (DoF) ansteuern können. Für eine Unteraktuierung gibt es verschiedene Gründe. Beispielsweise sind Systeme die weniger Aktuatoren als unabhängige Freiheitsgrade besitzen trivialerweise unteraktuiert. Darunter fallen u. a. humanoide Roboter, Flugdrohnen und Schwimmroboter. Ein weiterer Fall ist ein robotisches System mit der gleichen Anzahl von Aktuatoren und Freiheitsgraden, aber aufgrund von Zustands- oder Drehmomentgrenzen ist es dennoch nicht möglich, das System unmittelbar in eine bestimmte Richtung zu bewegen. Nach dieser Definition sind alle Robotersysteme unteraktuiert.
Beispiele unteraktuierter Systeme
Ein Doppelpendel mit einem aktiven und einem passiven Gelenk ist beispielsweise unteraktuiert, da es zwei unabhängige Freiheitsgrade hat, jedoch nur ein Freiheitsgrad angesteuert werden kann. Wenn das erste Gelenk (Schultergelenk) passiv ist, wird dieses System als Akrobot bezeichnet, da es einem Akrobaten der Turnübungen am Reck absolviert gleicht. Ein Elektroauto mit zwei Motoren und einem Lenkrad hat drei Aktuatoren und drei DOFs, vorausgesetzt es bewegt sich in einer Ebene. Eine Person kann das Auto durch Wendemanöver an eine beliebige Stelle auf der Oberfläche navigieren, allerdings kann ein herkömmliches Auto aufgrund der Begrenzung der Lenkachse nicht direkt seitwärts bewegt werden. Eine Eigenschaft die beim Einparken des Fahrzeugs sehr nützlich wäre. Ein weiterer Grund für Unteraktuierung ist die Drehmomentbegrenzung der Aktuatoren.
Warum wird an unteraktuierten Systemen geforscht?
Das Problem der Unteraktuierung wird in der Robotik häufig umgangen und stattdessen auf Notlösungen gesetzt. Um große Nutzlasten zu befördern, setzen wir beispielsweise häufig auf äußerst leistungsstarke und starre Manipulatoren in Verbindung mit einer Rückkopplungssteuerung, um die natürliche Dynamik außer Kraft zu setzen. Dieser Notlösungen birgt jedoch gewisse Nachteile. Ein offensichtlicher Nachteil ist, dass es sich bei industriellen Manipulatoren um starre positionsgesteuerte Systeme handelt, welche für eine sichere Mensch-Roboter-Interaktion potentielle Gefahren bergen. Unter genauerer Betrachtung sind selbst diese herkömmlichen Systeme aufgrund begrenzter Gelenkbeschleunigungen unteraktuiert. Die Physik lehrt uns, dass die unendliche Beschleunigung einer Masse unendlich viel Energie erfordert, welche selbst massive Aktuatoren nicht aufbringen können. In der Natur wird die Dynamik im Gegensatz dazu auf intelligente Weise ausgenutzt, um optimale Regelungstechniken zu entwickeln. Ein Turner kann am Reck beispielsweise sein Körpergewicht aufschwingen, indem er Energie über mehrere Schwünge hinweg sammelt, obwohl das im menschlichen Handgelenk verfügbare Drehmoment nicht ausreicht, um den menschlichen Körper direkt in eine Überkopfkonfiguration zu bringen.
Underactuated Laboratory am DFKI Robotics Innovation Center
Das Ziel des Underactuated Labs ist die Entwicklung einfacher, leistungsfähiger und robuster Robotersysteme. Wir wollen unteraktuierte Systeme bauen, die eine gleichwertige oder verbesserte Leistungsfähigkeit als bestehende vollaktuierte Systeme erzielen. Der einzige Weg dieses Ziel zu erreichen besteht darin die natürliche Dynamik intelligent zu nutzen, anstatt sie durch starre Positionsteuerung auszuschalten. Eine solche dynamische Steuerung stellt unser Verständnis der Robotik zwar vor neue Herausforderungen, verspricht aber das Entstehen einer neuen Generation von agilen und wendigen Robotern.
Labor-Infrastruktur
Das Labor hat erfolgreich die Hardware und Software Implementierung von drei verschiedenen kanonischen Systemen abgeschlossen: Drehmomentbegrenztes Einfachpendel und Doppelpendel (Akrobot/Pendubot), sowie ein Sprungbein mit zwei Freiheitsgraden an einer Linearführung, welches kontinuierlich springen und Rückwärtssaltos ausführen kann.
Das drehmomentbegrenzte Einfachpendel ist das einfachste unteraktuierte System. Es hat einen Aktuator und einen Freiheitsgrad, dennoch kann es aufgrund seiner Drehmomentbegrenzung als unteraktuiertes System betrachtet werden. Der Aktuator benötigt etwa 2,5 Nm um eine Masse von 0,5 kg an einem 0,5 m langen Hebelarm in die höchste Stellung zu heben, während in unseren Versuchen das Drehmoment des Aktuators auf 1 Nm begrenzt ist. Um eine Masse mit begrenztem Drehmoment dennoch in die höchste Position zu fahren werden Trajektorien mit einer Reihe von optimalen Kontrollmethoden und Ansätzen des maschinellen Lernens generiert, die ein dynamisches Aufschwingen des Pendels erlauben. Solch eine Plattform kann als Lehr- und Forschungsinstrument für den Einstieg in die unteraktuierte Robotik dienen. Die gesamte Hardware- und Softwareplattform ist quelloffen und verfügbar unter:
github.com/dfki-ric-underactuated-lab/torque_limited_simple_pendulum.